Wie alles begann
Heute ist es wirklich sehr schwer zu glauben
, aber Akt mit Pferd war einmal ein Witz.
Denn um die Entstehung von Akt mit Pferd zu erklären, muss man folgende Vorgeschichte erzählen: 2014 lebten Jens Maria Mayer und Beni von Alemann bereits einige Jahre in einer schönen WG in Berlin Kreuzberg an der Grenze zu Neukölln. Im gleichen Haus wohnte durch Zufall auch eine ehemalige Kommilitonin aus Weimar, mit der sie seitdem dick angefreundet sind – übrigens die Dame auf den Akten #126 bis #153/10.000. Diese Nachbarsfreundin verreiste zuweilen und vermietete ihre Wohnung bei Gelegenheit unter. Die zwei Künstler (damals noch bloß Lebenskünstler) hatten einen Schlüssel zur Wohnung, denn manchmal kamen bei einer Reise gleich mehrere Mieter nacheinander. Dann sorgte einer der beiden in der Wohnung für frische Laken auf dem Bett, lüftete die Vorhänge und stellte neue Blumen in die Vase.
Einmal brachte Jens Maria von einem Besuch seines Elternhauses ein Gemälde aus seinem Kunstunterricht am Gymnasium mit, und zwar ein klassisches Kunstmotiv: ein auf einem Bett sitzender weiblicher Akt, dem Betrachter den Rücken zugewandt, eingerahmt von zwei Vorhängen, von ihm als einem Teenager im Kunstunterricht in Öl auf eine große Leinwand gemalt, also meisterhaft. Einmal hängten die zwei das besagte Bild ihrer Nachbarin ohne weitere Notiz ins Wohnzimmer und warteten auf eine Reaktion, die aber nie kam. Glaubte die Freundin, dass ein Gast das Bild als Trinkgeld hinterlassen hatte? Oder plante sie im Stillen eine Revanche? Jedenfalls: als sie ein anderes Mal wieder unterwegs war, wieder ein Untermieter vor der Tür stand, fanden die zwei das Bild beim Blumengießen hinter einem Schrank und hängten es erneut auf. Nach Rückkehr der Freundin wieder kein Kommentar. So ging das ein paar Mal.
Am 17. November 2014 waren Mayer und von Alemann zum Geburtstag der Freundin in die Nachbarwohnung auf einen Umtrunk eingeladen und hatten bis zur letzten Minute kein Geschenk für sie, aber einen mit weißer Leinwand bespannten Keilrahmen aus dem Ein-Euro-Laden, zwanzig mal zwanzig Zentimeter groß, und die Vorgeschichte mit dem Bild. Es war einer dieser Momente, in denen das Schicksal diese sich bereits unruhig spinnenden Fäden schließlich zu einem unreißbaren Garn verbindet. Das Motiv für die noch leere Leinwand war natürlich jener auf dem Bett sitzende, weibliche Akt, dem Betrachter den Rücken zugewandt, eingerahmt von zwei Vorhängen, mit sicherem Eddingstrich unsauber auf die Leinwand gebracht. Von Alemann, um auch etwas beizusteuern, ergänzte die Zeichnung ohne viel Aufhebens um ein in einer hohen Vase stehendes Steckenpferd. War das schon wertvoll genug? Nicht ganz. Um dieser bemalten Ein-Euro-Leinwand nun noch mehr Wert zu verleihen, brachten sie direkt mitten im Bild – direkt neben der elegant in die Zeichnung integrierten Signatur – eine Seriennummer an, die weit in die Zukunft verweisen sollte, von der sie damals noch nichts ahnen konnten:
Und dann wurde mit Übergabe des Bildes jenes neuen Aktes das Mysterium um den im Stillen aufgehängten alten Akt gelüftet.
Noch ahnte niemand, dass damit ein Same gepflanzt war, der im Stillen nun noch ein Jahr weiter keimte, denn die Zeit ist in der Kunst wie im Leben eine mächtige Verbündete.
Dreihundertundfünfundsechzig Tage später wiederholten sich Geburtstag wie Umtrunkseinladung, diesmal im ganz kleinen Rahmen. Neben der Zelebrantin waren es die beiden Künstler und nur ein weiterer, wohlvertrauter Freund der drei. Dabei fiel auch der Blick auf das Geschenk des Vorjahres, jene Zeichnung mit Akt und Pferd, die zu dieser Zeit noch keinen Namen hatte, und die nun von der Wand genommen und eingehend betrachtet wurde.
Manche Ideen müssen eine Weile reifen wie Sauer- oder Hefeteig, Eingemachtes, guter Wein oder ein Geheimnis, das gelüftet werden will. Und wie beim Reifeprozess in geschlossenen Behältern Druck entsteht, so knallte auch der Champagnerkorken dieser Idee als im plötzlichen »was wäre wenn« einer tatsächlichen Umsetzung dieses Serien-Wahnsinns ein Wort das andere ergab. »Was, wenn wir die 10.000 Bilder tatsächlich malen?« »Gibt es einen besseren Namen als Akt mit Pferd?« »Was würde ein Bild kosten?« Das Konzept der kontinuierlichen Preissteigerung von einem Euro pro jedem gemalten Bild war der Kipppunkt des Entschlusses, Ernst mit Akt mit Pferd zu machen. Spätestens nachdem die mittellosen Künstler die Gaußsche Summenformel bemühten, um auszurechnen, was die Gesamtsumme einer Serie von 10.000 Bildern ergäbe, von denen das erste einen, das zehntausendste zehntausend Euro kosten würde, war der Entschluss der Umsetzung keine Frage mehr. Die zwei anwesenden Freude kauften die ersten zehn Akt mit Pferd innerhalb von Sekunden – und ehe sie gemalt waren. Im Spaß schnappte ihnen einer beinahe die plötzlich wertvoll gewordene Domain aktmitpferd.de weg, konnte aber mit freundlichen Worten noch davon abgehalten werden. Man begoss diese ersten Verkäufe und die Geburt der Serie in 10.000 Akten. Der Rest ist Kunstgeschichte.