10.000 PFERDESTÄRKEN
ein Gastbeitrag von Martin Martin Schlesinger / Institut für Zeitgenossenschaft
Anmerkung: dieser Text erschien erstmals am 11. Dezember 2015.
Zu diesem Zeitpunkt existierten die ersten einhundert Akte mit Pferd.
Die ältesten Zeichnungen der Menschheit zeigen Pferde – die jüngsten ebenfalls. Das von Benjamin von Alemann und Jens Maria Mayer lancierte Langzeichenprojekt Akt mit Pferd reiht sich in einen traditionsreichen künstlerischen Stall ein: von den Pferdeköpfen in der Chauvet-Höhle bis zur chevaleresken Serienfotografie eines Eadweard Muybridge hat der Wunsch nach einem exakten Wahrnehmen und nach einem noch genaueren Abbilden der kontinuierlichen, sich wiederholenden Bewegungen von Pferden verschiedenste Maler und Erfinder über Jahrtausende auf Trab gehalten. Akt mit Pferd zeigt jedoch kein galoppierendes Tier, sondern als Pars pro equo nur einen Kopf mit Stock – ein Steckenpferd.
Dieses Spielzeug könnte in doppelter Hinsicht als ein humorvoller Hinweis auf die dem Unterfangen zugrundeliegende Haltung verstanden werden: Erstens, als Anspielung auf die Kunstrichtung des Dadaismus, der in einer seiner Gründungsgeschichten angeblich durch das im kindlichen Französisch gängige Wort dada (=Steckenpferd) benannt wurde – mit dem man in einem weniger kindlichen Französisch zugleich auch Stellungen beim Sexual-Akt bezeichnet; zweitens, im Sinne der Metapher, als Steckenpferd der Künstler selbst, das heißt, als ein eigenartiger Zeitvertreib, um den es sich bei der Herstellung von Akt mit Pferd zweifelsohne handelt. Denn dieses Bild existiert nicht nur einmal, sondern entsteht in einer rekordsicheren Auflage von 10.000 Exemplaren immer wieder aufs Neue. In dieser limitierten Serialität des ewig Gleichen gelingt von Alemann und Mayer das, was Barbara Wittmann in ihrem Aufsatz „Das Steckenpferd als Lebenswerk“ als eigentlich unmöglich beschreibt:
„Der professionelle Künstler der Moderne stand und steht noch immer unter dem Verbot der Automimesis. Er darf sich nicht wiederholen, wobei diese Verpflichtung ästhetisch wie ökonomisch begründet wird: ästhetisch, wenn es darum geht, die Erstarrung der individuellen Methoden in einer Manier, einem nachahmbaren Stil, zu verhindern; ökonomisch, weil der Künstler direkt und indirekt gefordert ist, auf die Launen und Veränderungen des Kunstmarktes zu reagieren.“
Barbara Wittmann
Akt mit Pferd entzieht sich dieser Art des restriktiven Künstlertums und einer flexiblen Anpassung an den Kunstmarkt. Einerseits durch ein extravagantes Echo des Sichtbaren in der massenhaften Reproduktion, die als Strom der Selbstreferenz im Internet präsentiert wird, andererseits, dazu gleich mehr, durch eine eigene Ökonomie, die jeder gängigen Logik des Marktes die Hufe zeigt.
Man müsste trotz des auf den ersten Blick sehr genauen Vervielfältigungsverfahrens jedes der Bilder einzeln beschreiben, wollte man jedem Detail und den subtilen Unterschieden zwischen den einzelnen Arbeiten gerecht werden. Was Claude Monet mit der Kathedrale von Rouen (1892-1894) in einer Serie von 33 Gemälden zu erreichen suchte, wird hier auf der medialen Ebene und in einem Impressionismus der Idee evident. Doch erst mit dem letzten Bild wird Akt mit Pferd in seiner konzeptuellen Gesamtheit völlig erfasst werden können; erst nach und nach wird man mehr und mehr über dieses Bild wissen und seine Implikationen besser verstehen. Im momentan noch frühen Stadium des Projekts lassen sich nur fragile Spuren erahnen, die zunächst wie Fehler anmuten mögen, aber vielmehr unaufdringlich zukünftige Transformation prophezeien: Mal steht das Steckenpferd in einer Vase, mal schaut der Kopf nach rechts, mal nach links, dann nach oben – oder hängt als eine Trophäe an der Wand; in einem Bild hat der Akt, eine Frau, möglicherweise eine Geliebte, Mutter und/oder Prostituierte, die vielleicht auf einen Sexualpartner wartet (wird er jemals erscheinen?), die Beine ungewohnt übereinander geschlagen, in einem anderen trägt sie keinen Dutt, sondern offenes Haar; dann liegt ein Teil des Vorhangs, der die Komposition wie eine Theaterbühne begrenzt, auf dem Boden.
Derartige minimale Veränderungen wecken Erwartungen und verleihen der Reihe, die erst online im scrolling durch den Tumblr ihre imposant Fülle entfaltet, das Flair eines lakonischen Daumenkinos das eine fortwährend gleichbleibende wie kontingente Geschichte erzählt. Zugleich kann das Aufeinanderfolgen kleinster Umformungen als Kommentar auf die Meme-Kultur des Internets verstanden werden; und auch der Stil der Zeichnung, der schwarze edding® auf Leinwand (20x20cm), der mal mehr, mal weniger die Struktur und Materialität des Untergrunds sichtbar macht, verweist durch grobe Linien, starke Konturen und eine Canvas-Ästhetik auf die Werkzeuge von Grafiksoftware sowie auf die visuellen Grundlagen digital reproduzierter Bilder.
Je mehr Originale desto teurer: Mit jeder neuen Veröffentlichung mittels eines Blogeintrags wird sofort auch das ökonomische Programm dieser sonderbaren Sammlung offengelegt, das einem Springreiten über die Gaußsche Summenformel gleicht: Das erste Bild kostet 1 €, das zweite 2 €, Nummer 33 ist für 33 € zu haben. Indem im Rahmen von Akt mit Pferd jedes nächste Bild als wertvoller als die vorhergehenden deklariert und mit der quantitativen Anhäufung der Werke auch ein finanzieller Fortschritt proklamiert wird, werden gängige Gesetze der Wertsteigerung des Kunstmarktes übersprungen. Das kontinuierlich nummerierte und aufsteigende ‘Crowdbuying’ scheint dem Geiste des Crowdfundings entsprungen, bei dem für die Anfertigung des gleichen Produkts unterschiedliche Summen gezahlt werden können und großzügigeren Spendern das Versprechen auf mehr Dank, mehr Wert, mehr Produkt verkauft wird.
„Gute Kunst ist, was teuer ist. Der Preis definiert den Wert.“
Dr. Magnus Resch
Was der Kunstexperte Dr. Magnus Resch im Kompendium Die 100 Wichtigsten Dinge feststellt, das trifft auf Akt mit Pferd gleich zweifach zu: Erstens für die einzelnen Bilder, die immer teurer, besser und wertvoller werden, und zweitens ebenso für das Gesamtwerk der 10.000 Originale. Mit einem allein durch den Verkaufspreis festgelegten Wert von 50.005.000 € ist das Projekt Akt mit Pferd derzeit mehr wert als Picassos kubistisches Gemälde Sitzende Frau im Garten (Femme assise dans un jardin, 1938) – was sich für solch eine junge Zeichnung von zwei noch weniger namhaften Künstlern doch durchaus sehen lassen kann.
Martin Martin Schlesinger
Institut für Zeitgenossenschaft IFZ
Literatur:
- Barbara Wittmann: „Das Steckenpferd als Lebenswerk“, in: Safia Azzouni und Uwe Wirth (Hrsg.): „Dilletantismus als Beruf“
, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2009, S. 181-199, hier: S. 198.
- Dr. Magnus Resch: „Wert. Anlage. Galerie.“, in: Schlesinger, Kaleyta, Mühlenberg, El Ouassil, Lorenz (Hrsg.): „Die 100 wichtigsten Dinge“, Hatje Cantz, Ostfildern 2016, S. 130-133, hier: S. 133.